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Befreiung zum Leben
Rudolf Lütticken

Eine spirituelle Vision - Essays

Leben mit Krebs - Rudolf Lütticken

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Rudolf Lütticken Ligia Lütticken

Wer Gott liebt, hat keine Religion außer Gott - Rumi


An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen - Mt 7,16


Was sagt ihr zu mir: Herr! Herr!, und tut nicht, was ich euch sage? - Lk 6,46


Solange ich vor der Angst fliehe, finde ich nicht den Weg ins Vertraün

Solange ich angesichts des Unabänderlichen keine andere Alternative sehe als „"Biegen oder Brechen““, unterliege ich dem Zwang. Wenn ich mich in Einsicht dem Unabänderlichen beuge, bin ich selbstbestimmt und frei.

Religiöse Überlieferung gründet auf Behauptung, authentische Spiritualität auf der Gabe der Unterscheidung.

An Jesus glauben heißt: alles Leben im Licht seiner Botschaft sehen.

Die Botschaft Jesu liegt nicht in der Bedeutung seiner Worte, sondern in ihrer Kraft.

Wer an Jesus glaubt, hält sich an ihm nicht fest: er weiß sich gehalten.

Die christliche Form der Erleuchtung ist die Gewissheit der Auferstehung

März 2016


Mein Leben mit dem Krebs

Die Krebsdiagnose ergab sich zufällig und unerwartet im Zusammenhang von Voruntersuchungen zu einer Leistenbruch-Operation: metastasierter Lungenkrebs in bereits weit fortgeschrittenem Stadium - mit Befall des Lymphsystems und Metastasen in Brust- und Lendenwirbel. Keine Möglichkeit einer kurativen Behandlung! Das medizinische Angebot daher: eine palliative Chemo, gegebenenfalls Bestrahlung eines Wirbelknochens.

Ich entschied mich jedoch gegen jede derartige Behandlung. Ich sehe darin tatsächlich nichts als eine Belastung für die Abwehrkraft des Organismus sowie für die Lebensqualität in der mir noch verbleibenden kurzen Zeit. Für mich ist diese Erkrankung nur sekundär ein medizinisches Phänomen; ich betrachte sie als den psychosomatischen Niederschlag eines Lebens, das sich durch Jahrzehnte nicht aus dem Selbstverrat, den verfehlten Bindungen und Identifikationen, hat lösen können, mit denen ich meinen Weg ins Leben angetreten bin. (vgl. den Impulstext 3 "Sich selber treu werden")

Daraus ergab sich für mich die Hoffnung, in der Begleitung durch Ligia die Krankheit durch eine gründliche Aufarbeitung dieser Prägungen von ihrer Wurzel her heilen zu können. Ich nahm zudem die Unterstützung durch einen Facharzt für alternative Heilverfahren in Anspruch und griff die verschiedensten Empfehlungen alternativer Heilmittel auf, die mir aus dem Internet entgegensprangen. Darüber hinaus achtete ich auf Ernährung und regelmäßige Bewegung.

Trotz alledem ist jedoch bis heute ein rascher und massiver Fortschritt der Erkrankung zu beobachten. Nach allgemeiner Erfahrung bleibt mir nur noch eine Lebenszeit von wenigen Monaten. Der vor mir liegenden Wegstrecke sehe ich jedoch ohne Angst entgegen. Nachdem ich über Jahre als Seelsorger dem Team der Palliativstation des Klinikums Mutterhaus in Trier angehört habe, vertraue ich auch für die letzten Stadien den ambulanten bzw. stationaeren Behandlungsmöglichkeiten der heutigen Palliativmedizin.

Diagnose, Prognose, ärztliche und pflegerische Begleitung berühren jedoch nur einen schmalen Aspekt dessen, was diese Krebserkrankung für mich bedeutet. Es stellt sich für mich nicht nur die Frage nach ihrem medizinischen Verlauf, sondern weit tiefreichender die nach ihrem Ort und Sinn im Ganzen meines Lebens, insbesondere im Zusammenhang der grundlegenden Veränderungen der letzten anderthalb Jahre. Auf eine provokante Weise stellt sich diese Erkrankung ja quer zu meinem Aufbruch in ein neues Leben, wie ich ihn eben erst durch den Austritt aus Kloster und Kirche vollzogen habe. Mein Leben geht, so scheint es, gerade da zu Ende, wo es neu beginnt.

Da könnte man sich fragen, ob dieser Krebs nicht einfach die Quittung dafür ist, dass ich meinen grundlegenden religiösen Bindungen untreu geworden sei. Ich befürchte, ehrlich gesagt, dass es gar nicht so wenige sind, die meine Erkrankung auf diese Weise mit meinem Weg aus Kloster und Kirche verbinden!

Eine innere Versuchung stellt diese Sicht für mich selbst aber nicht dar. Ich brauche mir und anderen gar nicht vorzurechnen, dass rein medizinisch der Beginn dieser langsam wachsenden Krebserkrankung, die vier Monate nach meinem Austritt diagnostiziert wurde und zu diesem Zeitpunkt bereits sehr fortgeschritten war, weiter zurückliegen muss als der überraschende Prozess, der zu meinem Austritt führte:

Ich bin von der klaren Überzeugung getragen, dass in diesem Schritt keine Untreue liegt, sondern gerade im Gegenteil der Entschluss, mich aus dem lebenslangen Selbstverrat zu lösen und endlich mir selber treu zu sein. Ich habe mit diesem Schritt nicht die Flucht vor den Aufgaben meines Lebens angetreten, sondern mich erstmals mit ungeteilter Entschiedenheit meiner Verantwortung für mein Leben gestellt.

Alle Zeugnisse über Fälle von Spontanheilungen Krebskranker stimmen in dem einen Punkt überein: in der Entschiedenheit der Betroffenen, sich aus tiefreichenden unfreien Bindungen zu lösen und ihrem eigenen, authentischen Leben zu öffnen. Krebs scheint zumindest in vielen Fällen das psychosomatische Ergebnis eines Lebens zu sein, das sich bis dahin aus solch unfreien Bindungen nicht zu lösen vermochte und sich unter dieser hoffnungslosen Perspektive zerstörerisch gegen sich selber wendet.

Insofern konfrontiert mich der Krebs nur noch einmal – mit tödlichem Ernst – mit der Herausforderung, der ich bereits durch meinen Austritt aus Kloster und Kirche zu entsprechen suchte. Er macht mir allerdings deutlich, dass es mit dieser Lösung aus äußeren religiösen Bindungen nicht getan ist, dass es um Überwindung von Prägungen geht, die sich von frühester Kindheit an bis in die Zellen hinein meinem Körper eingeschrieben haben. Möglicherweise ist die Erkrankung - wie Chuck Spezzano sagt - aber auch Ausdruck der Angst, ungestützt und ungeschützt durch die bisherigen Bindungen den eingeschlagenen Weg in die eigene Wahrheit und Verantwortung zu Ende zu gehen.

So oder so: sie hat den positiven Sinn, durch die drohende körperlichen Zerstörung eine Angst zu erzeugen, die größer ist als die Angst vor den anstehenden inneren Wandlungen und Veränderungen.

Für Ligia und mich war diese Erkrankung jedenfalls nicht ein Anlass, an der Richtigkeit des von mir eingeschlagenen Weges zu zweifeln, sondern ein Ansporn, diesen Weg konsequent fortzusetzen und mit aller Energie an die Wurzeln dessen zu gehen, wodurch ich mich lebenslang von mir selber entfremdet habe. Wie sich jedoch gezeigt hat, reicht in meinem Fall eine solch retrospektive Arbeit nicht, um dem Krebs den psychosomatischen Wurzelboden zu entziehen.

Es braucht offenbar auch eine positive, klare und entschiedene Blickrichtung auf das, was Leben für mich in Zukunft bedeutet. Aber an einer solchen Perspektive fehlt es ja nicht! Durch das JA zur ehelichen Lebenspartnerschaft habe ich mich auf die Weggemeinschaft mit Ligia eingelassen. Es bedeutet für uns nicht nur das JA zueinander, sondern das gemeinsame JA zu einem Leben in der Nachfolge Jesu, in seinem Auftrag, das Evangelium zu verkünden und die Kranken zu heilen.

Welcher Umgang mit dem Krebs ergibt sich aus dieser Lebensperspektive? Das eheliche Ja wird durch die auf ein paar Monate verkürzte Lebenszeit nicht untergraben! Es wächst unter dem Gewicht dieses Schicksals an Tragkraft, an Tiefe und Ernst. Aus der Bereitschaft, bis in Sterben, Tod und Trennung hinein das Schwere gemeinsam zu tragen, entspringt ein inneres Leuchten und die Gewissheit, dass wir einander umso tiefer und unaufhebbarer verbunden sein werden. Aber dieses JA zueinander verdoppelt sozusagen auch die Vitalität der Hoffnung, dass Heilung dennoch geschieht: Es kann doch nicht sein, dass das Leben uns das, was es uns mit der einen Hand an gemeinsamem Glück schenkt, mit der anderen sogleich wieder nimmt!

Wir möchten schließlich auch die nachdrückliche Ermutigung Jesu für uns in Anspruch nehmen, ihn um Heilung anzurufen und ohne allen Zweifel an seine heilende Macht zu glauben, - sicher in der Offenheit dafür, dass er uns auch in Sterben, Tod und Trennung unser Einssein bewahrt und an uns beiden seine Leben schenkende Macht offenbart.

Diese Offenheit nach beiden Seiten – zum Leben und zum Sterben hin – ist ja eigentlich die Grundsituation allen menschlichen Lebens in jedem Augenblick, nur dass wir sie uns zu unserer Entlastung meist nicht bewusst machen.

Der fortgeschrittene, medizinisch nicht heilbare Krebs schafft für mich eine Kampfsituation, in der ich mich gefordert sehe, trotz aller Unwahrscheinlichkeit Heilung und Leben dennoch zu bejahen, da nur dieses entschiedene Ja der Heilung eine Chance gibt. Es ist die Aufforderung zu einer Art von seelischem Spagat, - die Anforderung, beidem gleichzeitig Raum zu geben:

Im Willen zum Leben der Bereitschaft zum Sterben,
in der Bereitschaft zum Sterben dem Willen zum Leben,

sodass ich meinen inneren Ort schließlich weder im einen noch im andern finde, sondern – ob ich lebe oder sterbe - in einer Liebe, die beides umgreift und sich letztendlich in beidem gleich bleibt: in der unkündbaren Liebe zu mir selbst, zu Ligia, meinem ehelichen Gegenüber, zu Jesus Christus.

Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben – wir gehören dem Herrn. - Röm. 14,8

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